Interview mit Ralf Gräser vom Impfzentrum Zwickau „Das ist wirklich einmalig – auch, wenn man wie ich schon 46 Jahre dabei ist“

Wo sonst getanzt wird, finden nun Impfungen statt (Foto: kultour z)
Wo sonst getanzt wird, finden nun Impfungen statt (Foto: kultour z)

Das Bundesgesundheitsministerium sieht mit den COVID-19-Impfstoffen für Deutschland eine realistische Option, die aktuelle Pandemie zu beenden und SARS-CoV-2-Infektionen langfristig zu kontrollieren. Durch das Impfen soll eine Immunität in weiten Teilen der Bevölkerung erreicht und der Ausbreitung des Virus begegnet werden. Seit Anfang Januar wurden deutschlandweit über 400 Impfzentren mit medizinischem Personal und Impfstoff ausgestattet. Zuständig für die Planung und Verteilung des Impfstoffs sind das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und die Bundesländer. Die Standorte der Impfzentren bestimmen die Kommunen selbst, meist werden Veranstaltungs- und Messehallen genutzt, da hier schon optimale Voraussetzungen herrschen. In Sachsen werden die 13 Impfzentren vom Deutschen Roten Kreuz Sachsen organisiert: jeweils eins in den drei Großstädten Leipzig, Dresden und Chemnitz sowie ebenfalls jeweils eins in den zehn Landkreisen. Besucht hat die Redaktion von Abfallmanager Medizin das Impfzentrum Zwickau, das am 11. Januar für vier DRK-Kreise gleichzeitig in Betrieb genommen wurde. Vor Ort konnten wir den Landesleiter der Bereitschaften des DRK Landesverbandes Sachsen e.V., Ralf Gräser, für ein Interview gewinnen.

Zur Person: Ralf Gräser

  • seit 1991 Kreisbereitschaftsleiter Kreisverband DRK Zwickau
  • stellvertretender Landesleiter von 2012 bis 2018
  • seit 2018 bis November 2021 Landesbereitschaftsleiter des DRK Sachsen

Herr Gräser, während in Deutschland die meisten Menschen im Dezember letzten Jahres ihr Weihnachtsmenü geplant haben, stand das DRK vor einer ganz anderen Herausforderung: Impfzentren einrichten. Wir stehen hier nun in Zwickaus Stadthalle, die nun nicht gerade für die medizinische Versorgung bekannt ist. Wie sind Sie da rangegangen? Wie macht man aus einer Eventlocation ein Impfzentrum?

Ralf Gräser: Indem man erstmal die Eventlocation fragt, ob man das überhaupt dort umsetzen darf. Es gehören ja mehrere Partner dazu, die nicht einfach so von heute auf morgen bereitstehen. Die Stadthalle Zwickau stand aber bereit, weil , wie jeder aus den Medien weiß, zurzeit der Kulturbetrieb überall ruht. Die Stadthalle Zwickau wurde vor allem ausgewählt, weil sie erstens verkehrsmäßig hervorragend angebunden und zweitens als Objekt top ausgerüstet ist: Die Lüftungsanlage wälzt die gesamte Raumluft hier jede Stunde einmal komplett um, wir haben im gesamten Gebäude Fußbodenheizung. Wir greifen auf eine hervorragende Infrastruktur zurück, wie bestehende Notausgänge, ausreichend Sanitäreinrichtungen sowie zertifizierte Verträge mit Security, mit Messebauern und anderen Dienstleistern. So war es etwas einfacher für uns, als wenn man irgendetwas aus dem Boden stampfen und einkaufen hätte müssen. Sicherlich ist es trotzdem eine sportliche Leistung gewesen, in der Kürze der Zeit alles, was gefordert worden ist, auch zu aktivieren. Vielen Dank an das Team der Stadthalle Zwickau an dieser Stelle, dass dies so unkompliziert und schnell möglich gemacht worden ist. In so einer Situation merkt man erstmal, wenn ein gutes Netzwerk besteht.

Wie lange haben Sie insgesamt für alle Vorbereitungen benötigt?

Ralf Gräser: Bei unserem ersten Gespräch Anfang November habe ich gefragt, ob das Team der Stadthalle sich vorstellen könnte, ein Impfzentrum zu werden. Zu diesem Zeitpunkt war bereits klar, dass das DRK Sachsen Objekte in Sachsen sucht, in die Begutachtung gibt und die Angebote vorbereitet. Den Auftrag zur Einrichtung erhielt der DRK Kreisverband Zwickau-Land, der sich mit dem KV Zwickau, Hohenstein-Ernstthal und Glauchau diese Aufgabe teilt. Der Termin vom Sächsischen Ministerium für Soziales und Gesundheit war der 15. Dezember, wir hatten also ungefähr vier Wochen Zeit, das Objekt so einzurichten, wie wir es jetzt vorfinden. Da ging es einerseits um die korrekte Ausstattung, die Besorgung dieser und aller „Nebensachen” wie beispielsweise Winterdienst, Abfallentsorgung usw. und dann stand noch besonders die Frage nach Helfern im Raum.

Logistischer Aufwand zur Errichtung eines mobilen Impfzentrums

Ein hervorragende Überleitung zu unserer nächsten Frage, gleich nach der Logistik: Wie kommt das DRK denn sachsenweit an das notwendige Personal?

Ralf Gräser: Alle Mitarbeiter wurden über einen landesweiten Aufruf des Deutschen Roten Kreuzes rekrutiert. In Chemnitz hat das die zum Beispiel Wirtschaftsförderung übernommen. Es gibt aber auch Kreisverbände, die das allein organisiert haben. Aber wie gesagt, zunächst gab es einen sachsenweiten Aufruf des Landesverbandes. Tatsächlich haben sich über 3.000 Leute gemeldet, für die 13 Impfzentren brauchten wir 300 MitarbeiterInnen. Da sieht man die positive Resonanz, die in der Bevölkerung herrscht, eine Hilfsorganisation wie das DRK zu unterstützen. Prinzipiell ist es so, dass alle Leute im Impfzentrum festangestellt sind, es gibt also keine ehrenamtlichen Strukturen, die sind aber in Wartestellung. Sobald hier jemand beispielsweise krankheitsbedingt ausfällt, können die Ehrenamtlichen das berufliche Personal hier sofort für einen kurzen Zeitraum ersetzen.

Ich sehe weiße Stellwände, die den Check-In-Bereich, den Warteraum und die einzelnen Impfkabinen voneinander trennen, um uns herum ca. dreißig Helfer, Security-Leute und medizinisches Personal, die parat stehen. Gibt es gewisse Vorgaben, die deutschlandweit einheitlich sind, die man in einem Impfzentrum einhalten muss?

Ralf Gräser: Es gibt eine Vorgabe, wie eine Impfstrecke in Abschnitte aufgeteilt werden muss. Alle Zentren beginnen im Eingangsbereich schon mit Temperaturmessungen und mit einem Corona-Test-Abstrich bei erhöhten Temperaturen oder unklarer Lage. Der Wartebereich im Eingang muss vor allem sicher sein, gerade für Personen, die vielleicht schon zehn Minuten vor ihrer Impfung da sind. Nach Testung der Patienten folgt die offizielle Anmeldung, ausgestattet von der Kassenärztlichen Vereinigung mit Anmeldechipkartenleser und allem, was dazugehört. Weitere Posten einer Impfstrecke sind überall gleich: es muss einen Raum für das Arztgespräch geben, separierte Impfkabinen, ein Lager und einen Wartebereich am Ende, denn die „Impflinge“ werden hier anschließend noch ca. 15 Minuten beobachtet. Im Ausgangsbereich steht Personal, damit die Leute auch ordnungsgemäß das Objekt verlassen und sich keiner verirrt.

In dieser Einrichtung gibt es das alles mal Zwei, also zwei parallele Impfstrecken. In anderen Objekte laufen sogar drei oder vier Impfstrecken parallel. Wir haben hier zwei komplette Strecken mit vier Impfplätzen und können das aber noch einmal aufstocken. Der Durchlauf pro Impfstrecke beträgt pro Patient erfahrungsgemäß etwa eine halbe Stunde. Das Arztgespräch und das Impfen gehen dabei am schnellsten. Danach ist eine Viertelstunde Wartezeit vorgegeben. Das ist im Prinzip wie bei der Blutspende, wo eine halbe Stunde Ruhe empfohlen wird.

Waren Sie auch schonmal in einem anderen Impfzentrum vor Ort?

Ralf Gräser: Ich war schon einmal in Eich. Die anderen Hallen, die ebenfalls große Häuser sind, wie die SACHSENarena in Riesa oder die Festhalle Annaberg-Buchholz, sind alle adäquat aufgebaut. Der Grundaufbau ist überall derselbe, wie die Anordnung der Kabinen und der ganzen Impfstrecke.

Tauschen Sie sich da mit ihren Kollegen aus?

Ralf Gräser: Ja, wir sind im DRK Landesverband sehr gut vernetzt. Wir haben hier mit den vier Kreisverbänden als Federführende die gesamte Stadthalle so eingerichtet, wie vorgeschrieben, selbstverständlich auch mit den Partnern vor Ort, sodass wir hier die kurzen Dienstwege optimal nutzen.

Sicherheitsvorkehrungen und Logistik für Impfdurchführungen

Nun interessiert uns besonders die Logistik hier vor Ort. Stimmt es, dass der Impfstoff bei minus 70 Grad geliefert wird?

Ralf Gräser: Nein, das ist nicht richtig. Der Impfstoff kommt im aufgetauten Zustand bei uns an. Bei minus 70 Grad werden die Impfstoffe nur in den Zentrallagern vom Hersteller bzw. Versender gelagert. Hier im Impfzentrum wird er bei Kühlschranktemperatur zwischen 3 und 4 Grad aufbewahrt. Dort ist er fünf Tage haltbar und innerhalb dieses Zeitraums zu verspritzen. Wichtig ist, dass an den Tagen immer so viele Dosen aufgezogen werden, dass der Impfstoff auch vollständig aufgebraucht wird und nichts weggeworfen wird.

Neben dem Impfstoff benötigt das Fachpersonal für die Impfung noch einiges an Materialien: Spritzen, Pflaster, Tupfer, Desinfektionsspray. Und das alles steril, sauber und griffbereit. Wie bewahren Sie all das auf? Gibt es da direkte Sicherheitsvorkehrungen?

Ralf Gräser: Wir haben feste Lager im Hintergrundbereich, aber keine großen Lagerkapazitäten. Logistisch ist alles fest getimt und hervorragend organisiert, es wird sofort nachgeliefert, wenn irgendetwas im Lager ausgehen sollte. Verantwortlich dafür ist eine Sicherheitsingenieurin und für die Logistik ein Objektleiter.
Bezüglich der Lager haben wir jetzt beschlossen, dass die ersten Wochen jetzt jene sind, in denen wir lernen, was wir alles benötigen und wie hoch der Verbrauch ist und auch wie oft wir entsorgen müssen. In den nächsten Stufen der Impfung – für die breitere Bevölkerung – wird alles etwas schneller laufen müssen. Dann können wir kontinuierlich auch nachbestellen oder größere Entsorgungsbehälter bereithalten. Derzeit impfen wir nur 230 Personen hier pro Tag in der Stufe 1, diese Zahl wird voraussichtlich bei den Impfstufen 2 und 3 schnell steigen.

Wie schützen Sie Ihre Mitarbeitenden hier vor Ort?

Ralf Gräser: Mit den gleichen Maßnahmen wie unsere Patienten. Die Mitarbeiter betreten morgens das Impfzentrum und müssen zweimal in der Woche einen PCR-Test vornehmen lassen. Das ist so vorgeschrieben. Bei jedem wird früh Temperatur gemessen. Das ist deshalb so streng, weil wir im Falle einer Covid-19-Erkrankung beim Personal diese Einrichtung für den gesamten Landkreis Zwickau schließen müssten.

Können Sie ganz kurz den Ablauf schildern, wie die Impfung erfolgt?

Ralf Gräser: Ein Patient registriert sich online nach Priorität und dann kommt er mit einer Einladung durch die Kassenärztliche Vereinigung oder das Onlineportal zu einem fest vergebenen Termin. Am Eingang geht er unverzüglich zur Temperaturmessung, füllt dort bereits seine Daten aus. Er muss angeben, ob er angemeldet ist oder ohne Anmeldung kommt. Es kommen nämlich auch ein paar Unangemeldete, die aber in der Priorisierungsgruppe 1 liegen, wie zum Beispiel Senioren. Das muss alles logistisch von uns bewältigt werden und auch genügend Impfstoff muss vorrätig sein. Danach geht der Patient in den Wartebereich, wo er den Anamnesebogen ausfüllt, den er beim Check-In erhält. Vom Wartebereich geleiten Helfer vom DRK dann weiter zur Anmeldung, dort werden die Unterlagen geprüft, die Chipkarte eingelesen und noch einmal der Personalausweis vorgezeigt. Es folgt das freiwillige Arztgespräch. Auf der Einwilligungserklärung müssen drei Punkte entweder mit „ja“ oder „nein“ angekreuzt werden: Bedarf an einem Arztgespräch, Wunsch nach Impfung und Einwilligung zur Impfung. In der Impfkabine wird dann aufgeklärt, in welchen Arm die Impfung erfolgen soll. Das ist das kürzeste Prozedere von allen und tut überhaupt nicht weh. Danach kann der Patient in den Wartebereich gehen, einen Tee oder Wasser trinken. Im Check-Out bekommt jeder sofort einen Termin für die Zweitimpfung, die nach 21 Tagen mit dem derzeitigen Impfstoff von Biontech/Pfizer erfolgt.

Medizinisches Abfallmanagement im Impfzentrum

Wir beschäftigen uns beim Abfallmanager Medizin hauptsächlich mit Themen zur Entsorgung. Sie nutzen hier ungemein viele Spritzen. Wie viele Kanülen verbrauchen Sie am Tag?

Ralf Gräser: Am ersten Tag der Öffnung waren es 177. Jetzt, wie bereits erwähnt, sind wir bei ca. 230 Impfungen am Standort. Die Zahlen werden steigen, sobald genügend Impfstoff da ist und die 2. Strecke in Betrieb geht.

Die Spritzenbehälter aus gängigen Hausarztpraxen reichen hier bestimmt nicht?

Ralf Gräser: Nein, die ganz kleinen reichen da nicht. Wir verwenden 2,5 Liter große, stichfeste Transportboxen. Evtl. benötigen wir später noch größere Behälter, um die Menge an Kanülen sicher zu entsorgen. Die Spritzenbehälter kommen dann in große Abfallbehälter und damit ist eine sichere Entsorgung gewährleistet. Wenn der Behälter voll ist, können wir anrufen und dann wird er abgeholt. Alles, was an Spritzenmaterial oder Schutzkittel anfällt, geht laut Abfallnachweisverordnung in den normalen Hausmüll. Wichtig ist bei den Spritzenbehältern, dass kein Zugriff für Dritte erfolgen sollte, vor allem um Stichverletzungen zu verhindern.

Wann entscheiden Sie eigentlich, zu welchem Zeitpunkt es mit der Prioritätsstufe 2 weitergeht?

Ralf Gräser: Die Mitteilung erhalten wir von der KV Sachsen. Wir wissen ungefähr, wer sich in der Prioritätsgruppe 1 befindet. Bis Ende Januar sollte die Gruppe 1 in weiten Teilen geimpft sein und wir werden mit der Gruppe 2 beginnen. Das wird sich wahrscheinlich in der Anfangsphase immer mal wieder überschneiden. Wichtig ist, dass kein Impfstoff weggeworfen und wirklich alles „verimpft” wird. Das ist ein wichtiger Grundsatz bei uns.

Kommen Anfragen oder Anrufe von der Bevölkerung? Wo landen die?

Ralf Gräser: Die kommen meistens direkt in der Stadthalle und den Kreisverbänden an. Manchmal versuchen Leute vor der Tür, die Security-Mitarbeiter anzusprechen und wir leiten das dann über die offiziellen Kanäle weiter. Es gibt das Online-Portal oder die Hotline. Keine Anfrage geht bei uns verloren, alle erhalten Antworten, sei es zu Impfterminen, Ablauf oder Öffnungszeiten. Zu den häufigsten Fragen zählen: „Wann haben Sie offen? Wann können wir kommen? Wie ist das Anmeldeprozedere?“ Oft sind es auch Angehörige, die für ihre Eltern der Prioritätsstufe 1 anrufen, um ihren Verwandten zu helfen. Manche müssen extra aus einem anderen Bundesland anreisen, um ihre Eltern oder Großeltern hierher zu bringen.

Schicken Sie von der Stadthalle aus auch mobile Teams?

Ralf Gräser: Es starten von hier aus täglich zwei mobile Teams, die in Altersheimen unterwegs sind. Wir haben in Sachsen durch die hohe Inzidenz viele Heime, zu denen die Impf-Teams am dringendsten versorgen sollen. Das wird von uns jeweils am Vorabend geplant und organisiert und dann kann es aber passieren, dass es dort, in genau diesem Pflegeheim, plötzlich einen Corona-Ausbruch gibt. Dann stehen die Kollegen mit 100 Spritzen da und wissen nicht, wo sie damit hin sollen. Die Dosen werden wieder zurückgebracht oder es muss nun schnell ein anderes Pflegeheim angefahren werden. Hier sind wir in der Organisation dann stark gefragt.

Hochachtung, dass Sie das alles für die Impfzentren ehrenamtlich machen.

Ralf Gräser: Ich habe gute Mitspieler gehabt. Wir sind alle sehr mit dem DRK verbunden. Irgendwann wird es eine Feierstunde geben, für die, die das alles hier bewerkstelligt haben. Ganz im Ernst: Wir haben hier wirklich ein ganz tolles Team und mit den Partnern eine ganz verantwortungsvolle Zusammenarbeit. Das fängt bei der Oberbürgermeisterin an, das geht über die Mitarbeiter der Stadthalle, den Stadtordnungsdienst, die Polizei, also alle, die hier unten auch mitspielen. Das ist einfach großartig. Wir haben beim Deutschen Roten Kreuz wertvolle Grundsätze wie Menschlichkeit und Miteinander, die spürt man hier und das ist wirklich einmalig – auch, wenn man wie ich schon 46 Jahre dabei ist. Mich persönlich macht es stolz, dass wir so eine anspruchsvolle Aufgabe als Team bewältigen und ausführen dürfen.

Vielen Dank für das Gespräch! 

Quellen

Wo sonst getanzt wird, finden nun Impfungen statt (Foto: kultour z)
Wo sonst getanzt wird, finden nun Impfungen statt (Foto: kultour z)