Interview mit Dr. Melanie Filser Klinikreport Nachhaltigkeit 2024: Wie steht’s um deutsche Krankenhäuser?

Frau in weißer Bluse vor grauem Hintergrund
Im Rahmen des Klinikreport Nachhaltigkeit 2024 steht die Frage im Mittelpunkt: Wie könnte die Zukunft im Krankenhaussektor aussehen und welche Weiterentwicklungspotenziale gibt es?

Wie weit sind Kliniken im Bereich Nachhaltigkeit? Das Deutsche Krankenhaus Institut, das imug | research und die Techniker Krankenkasse (TK) gingen dieser Frage gemeinsam nach und veröffentlichten einen umfassenden Report, der die Rolle von Krankenhäusern im Kontext des Klimawandels beleuchtet. Mit Dr. Melanie Filser sprach die Redaktion des Abfallmanagers Medizin über Hintergründe und Ergebnisse des Klinikreports, insbesondere über die Relevanz von Nachhaltigkeit, die Rolle des Abfallmanagements, aber auch darüber, was Klinken brauchen, um Nachhaltigkeit weiter zu priorisieren.

Zur Person: Dr. Melanie Filser

  • seit September 2020 Senior Research Managerin, Deutsches Krankenhausinstitut (DKI)
  • Mai 2018 – August 2020 Leitende Psychologin und stellv. Geschäftsführerin bei COGITO – Zentrum für angewandte Neurokognition und neuropsychologische Forschung
  •  2017 – 2024 nebenberufliche Promotion, Dr. rer. nat. an der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
  • Mai 2015 – April 2018 Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei COGITO – Zentrum für angewandte Neurokognition und neuropsychologische Forschung
  • Oktober 2014 – April 2015 Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Neurologischen Poliklinik des Universitätsspitals Basel
  • September 2014 – April 2015 Projektmanagerin Löwenheck Marktforschung
  • 2012 – 2014 Masterstudium Psychologie, M.Sc. of Science und Major in Clinical Psychology and Neuroscienes an der Universität Basel

Dr. Filser, was war der Auslöser gemeinsam mit imug | research und der Techniker Krankenkasse (TK) den Klinikreport Nachhaltigkeit 2024 zu erarbeiten?

Der Report entstand im Kontext eines gestiegenen Bewusstseins für Nachhaltigkeit im Krankenhaussektor. Zu Beginn lag der Fokus darauf Einblicke zu erhalten, wie der aktuelle Stand und die Potenziale nachhaltiger Entwicklung im Krankenhausbereich ist. In Zusammenarbeit mit dem imug research und gefördert von der Techniker Krankenkassen führten wir hierzu eine repräsentative Befragung von 386 Allgemeinkrankenhäusern mit einer Größe ab 100 Betten durch. Dabei stand die Frage im Mittelpunkt: Wie könnte die Zukunft im Krankenhaussektor aussehen und welche Weiterentwicklungspotenziale gibt es? Zudem sollten den teilnehmenden Krankenhäusern durch Einzelauswertungen eine Orientierung zu ihrem aktuellen Stand geboten werden.

Warum ist das Thema Nachhaltigkeit gerade jetzt so relevant für den Krankenhaussektor?

Krankenhäuser haben selbst einen sehr großen ökologischen Fußabdruck und werden gleichzeitig aufgrund ihres Versorgungsauftrages direkt mit den Folgen des Klimawandels konfrontiert – etwa durch die steigende Morbidität infolge von Extremwetterereignissen. So zahlt die Förderung nachhaltiger Strukturen in Kliniken nicht nur auf die Reduzierung des eigenen Ressourcenverbrauchs ein, sondern steigert auch ihre Resilienz für die Sicherung einer langfristigen Gesundheitsversorgung.

Versorgungsauftrag versus Nachhaltigkeit: Gegensätze oder in der Unternehmensstruktur vereinbar?

Wie lassen sich der medizinische Versorgungsauftrag und Nachhaltigkeitsziele sinnvoll miteinander vereinbaren?

Der Report betont, dass es eine Herausforderung ist, ökologische, ökonomische und soziale Dimensionen in den Klinikbetrieb zu integrieren. Jedoch können Klimaschutzmaßnahmen zugleich Ressourcen schonen und gesundheitliche Co-Benefits erreichen – beispielsweise mit der Umstellung des Speiseplans von tierischen Produkten auf pflanzliche Alternativen. Schulungen für das betriebliche Gesundheitsmanagement stärken zudem die Resilienz des Personals, was sich wiederum positiv auf die Versorgungsqualität auswirkt.

Der Bericht zeigt: Viele Krankenhäuser haben Nachhaltigkeit bereits in ihre Unternehmensstrategie integriert. Wie bewerten Sie diesen Fortschritt?

Rund die Hälfte der Krankenhäuser hat Nachhaltigkeit bereits in ihre Unternehmensstrategie aufgenommen, weitere 36 Prozent der Einrichtungen planen dies konkret für die Zukunft. In vielen Häusern wurden bereits Einzelmaßnahmen umgesetzt – besonders bei mitarbeiterorientierten Themen wie der Personalentwicklung, familienfreundlichen Arbeitsgestaltung sowie Diversität und Inklusion zeigen sich hohe Umsetzungsgrade. Das ist ein deutlicher Fortschritt. Und auch strategisch rückt das Thema Nachhaltigkeit immer stärker in den Fokus und wird zunehmend in den Unternehmensstrategien verankert.

Überraschendes Ergebnis: Viele Kliniken setzen bereits auf Nachhaltigkeit

Gleichzeitig gibt es Bereiche, in denen noch Nachholbedarf besteht – etwa bei CO2-Bilanzen und Beschaffungsrichtlinien. Welche Ergebnisse haben Sie hier am meisten überrascht?

Die Ermittlung von CO₂-Emissionen stellt eine große Herausforderung für Krankenhäuser dar. Einerseits sind Erfassung, Dokumentation und Zuordnung der Emissionen sehr komplex, andererseits müssen überhaupt messbare Prozesse und Strukturen vorliegen und etabliert sein. Mit Blick auf den Befragungszeitpunkt – noch vor der geplanten Erweiterung der Nachhaltigkeitsberichterstattung – war es für uns im positiven Sinne sehr überraschend, wie viele Krankenhäuser sich bereits mit der Thematik auseinandergesetzt hatten. 18 Prozent der Kliniken hatten zum Befragungszeitpunkt bereits einen Nachhaltigkeitsbericht erstellt, weitere 58 Prozent planten ihn. Im Bereich Beschaffungsrichtlinien mit sozialen und ökologischen Kriterien lag die Implementierung bei ca. 22 Prozent; weitere 43 Prozent planten entsprechende Leitlinien. Es zeigte sich, dass viele Krankenhäuser die beiden Themenbereiche trotz Komplexität bereits in Angriff nehmen und hier gleichzeitig aber auch noch großes Potenzial für weiteren Fortschritt und Weiterentwicklung liegt.

Abfallmanagement und Nachhaltigkeit

Krankenhäuser erzeugen täglich große Mengen an medizinischen Abfällen. Welche Bedeutung hat ein nachhaltiges Abfallmanagement im Gesamtkonzept für Nachhaltigkeit?

Der Report betont zwar Abfallmanagement nicht als eigenen Schwerpunkt, nimmt es aber im Kontext von Ressourceneffizienz und Umweltmaßnahmen auf. Die Reduktion von Abfällen und Ressourcenverbrauch, u. a. durch Prozessdigitalisierung und Energieeffizienz, ist Teil ökologischer Maßnahmen, die als besonders wirksam genannt werden. Ein nachhaltiges Abfallmanagement ist daher integraler Bestandteil eines umfassenden Nachhaltigkeitskonzeptes – zur Minimierung ökologischer Belastungen und eine Möglichkeit der Kostenreduktion. Dabei nimmt ein gutes Abfallmanagement zentralen Einfluss auf das Bewusstsein für Ressourcenschutz, kann aber auch ein Argument für das Recruiting sein. Insbesondere bei der jüngeren Generation ist dieses Bewusstsein auch bei der Arbeitgeberwahl entscheidend.

Welche konkreten Maßnahmen sehen Sie als besonders wirksam an, um Abfälle im medizinischen Bereich zu reduzieren bzw. nachhaltiger zu entsorgen?

Um konkrete Maßnahmen zu identifizieren, lohnt sich der Blick in die Praxis, wie beispielsweise der Einsatz von umweltfreundlichen Narkosegasen oder deren Recycling. Darüber hinaus können auch Optimierungen in der Prozessdigitalisierung, Energieeffizienz und im Ressourcenmanagement dabei helfen, Abfallmengen indirekt zu reduzieren. Hierzu gehören beispielsweise Anpassungen in der Speisenversorgung. Allerdings ergeben sich für Abfallbeauftragte hier immer wieder Hürden, darunter beispielsweise strenge Hygienevorschriften. Aber auch fehlende personelle Ressourcen sind kontraproduktiv für ein ressourcenschonendes Entsorgungsmanagement.

Nachhaltigkeit im Krankenhaus benötigt Struktur und Ressourcen

Im Bericht werden fehlende finanzielle Mittel und personelle Ressourcen als Hindernisse für mehr Nachhaltigkeit in Kliniken genannt. Welche Unterstützung wäre hier aus Ihrer Sicht am dringendsten notwendig?

Unzureichende personelle Kapazitäten, etwa für Nachhaltigkeitsbeauftragte oder Projektverantwortliche, und fehlendes Know-how bzw. Weiterbildungsmöglichkeiten sind hier immer noch die wesentlichen Themen in vielen Einrichtungen. Daher bezieht sich die erforderliche Unterstützung vor allem auf finanzielle Zuschläge, Budgetverhandlungen, Finanzierungsmöglichkeiten von Personal – beispielsweise von Klimaschutzbeauftragten –, Klimaschutzmaßnahmen und Fortbildungsangebote, um klare Anreize zu schaffen.

Welche Rolle können Politik und Gesetzgeber dabei spielen, die Transformation im Krankenhaussektor zu beschleunigen?

Krankenhäuser benötigen auf ihrem Weg zu einer nachhaltigeren Wirtschaft neben finanzieller Unterstützung bei Investitionsmaßnahmen vor allem auch passende rechtliche Rahmenbedingungen. Des Weiteren müssen Strukturen geschaffen werden, die es Kliniken ermöglichen, sich zu vernetzen und auszutauschen. Nachhaltigkeit im Krankenhaussektor muss durch die Politik systematisch etabliert und gefördert werden.

IMPULS Kompakt: Konkrete Handlungsperspektiven ab Dezember 2025

Aktuell arbeiten Sie an einer neuen Projektreihe „Klinikreport Nachhaltigkeit – IMPULS Kompakt“. Können Sie unseren Leserinnen und Lesern von diesem neuen Format berichten? Was ist der Mehrwert dahinter?

Mit dem Projekt „Klinikreport Nachhaltigkeit – IMPULS Kompakt“ möchten wir den Dialog zum Thema Nachhaltigkeit in deutschen Krankenhäusern gezielt vertiefen. Aufbauend auf den Ergebnissen des aktuellen Klinikreports Nachhaltigkeit (2024) bietet das neue Format kompakte Analysen, praxisnahe Beispiele und Impulse für das Krankenhausmanagement. Ziel ist es, zentrale Themen rund um Klimaschutz und Nachhaltigkeit in den Kliniken noch stärker in den Fokus zu rücken und praxisorientierte Impulse für die Umsetzung zu vermitteln.

Der Mehrwert liegt darin, auf der Grundlage der Erkenntnisse aus der bundesweiten Studie konkrete Handlungsperspektiven aufzuzeigen. IMPULS Kompakt richtet sich an Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger in Krankenhäusern, die Nachhaltigkeit strategisch und operativ voranbringen wollen. Durch Best-Practice-Beispiele und praxisnahe Empfehlungen sollen Kliniken unterstützt werden, eigene Nachhaltigkeitsstrategien zu entwickeln oder bestehende Maßnahmen weiterzuentwickeln. So entsteht ein Wissenstransfer, der die nachhaltige Transformation der Krankenhauslandschaft in Deutschland unterstützen kann.

Welche Rolle wird das Thema Abfallentsorgung in diesem Kontext spielen (z. B. Reduzierung von Speiseabfällen durch bestimmte Maßnahmen)?

Das Thema Abfallentsorgung, insbesondere die Reduzierung von Speiseabfällen, ist ein zentrales Handlungsfeld der Projektreihe „Klinikreport Nachhaltigkeit – IMPULS Kompakt“. Da Lebensmittelabfälle häufig durch Überproduktion, falsche Portionierung oder ungenaue Bedarfsplanung entstehen, zeigt IMPULS Kompakt praxisnahe Wege auf, wie Kliniken ihre Prozesse ressourcenschonender gestalten können. So wird Abfallvermeidung zu einem Beispiel dafür, wie Krankenhäuser mit überschaubarem Aufwand messbare Fortschritte erzielen und Nachhaltigkeit im Alltag konkret umsetzen können – etwa durch die Erfassung von Speiseresten, optimierte Portionierung, bessere Menüplanung oder die Weiterverwendung übrig gebliebener Speisen.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

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