Interview mit Prof. Dr. Marcus Sidki Nachhaltigkeits­bericht­erstattung ist Management­aufgabe

Prof. Dr Marcus Sidki spricht im Interview über die neuen Pflichten zur Nachhaltigkeitsberichterstattung. (Foto: privat)
Prof. Dr Marcus Sidki spricht im Interview über die neuen Pflichten zur Nachhaltigkeitsberichterstattung. (Foto: privat)

Die EU-Institutionen verpflichten mit der neuen Richtlinie zur unternehmerischen Nachhaltigkeits­berichterstattung (CSRD) künftig mehr Unternehmen als bisher zur Nachhaltigkeits­berichterstattung – wodurch nun auch Kliniken verstärkt von der Thematik betroffen sind. Die Umsetzung der Vorschriften ist in drei Stufen vorgesehen, so dass Krankenhäuser ihre Nachhaltigkeits­maßnahmen ab Anfang 2025 in ihre Bericht­erstattung aufnehmen müssen. Auch wenn das noch weit entfernt klingen mag, empfiehlt Prof Dr. Marcus Sidki – Professor für Volkswirtschaftslehre und Statistik an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen und Leiter des IMCOG-Instituts –, sich bereits jetzt eingehend mit dem Thema auseinanderzusetzen, um die Gefahr von Problemen bei der ersten Berichtsprüfung zu reduzieren.

Zur Person: Prof. Dr. Marcus Sidki

  • seit 2015 Inhaber der Professur für Volkswirtschaftslehre und Statistik an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen
  • seit 2015 geschäftsführender Gesellschafter der IMCOG GmbH
  • 2012 – 2015 Associate Director der UniCredit Bank AG
  • 2009 – 2012 Promotion an der Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer
  • 2000 – 2006 Studium der Volkswirtschaftslehre an der Universität Heidelberg

Nachhaltigkeit umfasst die Themengebiete Ökonomie, Ökologie und Soziales und „zwingt“ Kliniken, sich mit diesem Thema zu befassen – vor allem mit der neuen verpflichtenden Richtlinie zurNachhaltigkeits­berichterstattung (CSRD). Was bedeutet das konkret für die Einrichtungen?

Marcus Sidki: Die CSRD erweitert den Umfang der Unternehmen, die überhaupt berichts­pflichtig werden. Dies betrifft künftig alle Unternehmen oder Organisationen, die zwei der folgenden drei Merkmale erfüllen: Bilanzsumme größer als 20 Mio. Euro, Nettoumsatzerlöse größer als 40 Mio. Euro sowie mindestens 250 Beschäftigte. Allein in Deutschland steigt dadurch die Anzahl der berichts­pflichtigen Unternehmen von heute ca. 500 auf geschätzt 15.000 und wird damit auch einen signifikanten Anteil der deutschen Krankenhäuser betreffen. Das Besondere ist dabei, dass Gesundheits­einrichtungen bisher nahezu ausnahmslos nicht der aktuellen Berichtspflicht unterlagen. Sehr viele Kliniken sind sich bis dato noch nicht bewusst, was da auf sie zukommt, aber auch nicht, welche Chancen dieNachhaltigkeits­berichterstattung für sie bieten kann.

Ab wann ist die CSRD verpflichtend und welche Merkmale umfasst ein solcher Nachhaltigkeits­bericht?

Marcus Sidki: Für Unternehmen, die heute noch nicht der gegenwärtig bestehenden Nachhaltigkeits­berichtspflicht unterliegen, greift die CSRD erstmalig ab dem 1. Januar 2025. Das heißt, dass im Rahmen des Jahresabschlusses 2026 erstmalig Daten des Jahres 2025 über die Nachhaltigkeits­aktivitäten vorzulegen sind. Ein wichtiger Unterschied zum Status Quo ist außerdem, dass die Berichts­pflicht nicht mehr über einen separaten Bericht erfüllt werden kann, sondern künftig Teil des Lageberichts sein wird. Inhaltlich befinden wir uns zurzeit in der Endphase der Festlegung der konkreten Berichts­standards. Diese sogenannten European Sustainability Reporting Standards (ESRS) – voraussichtlich zwölf an der Zahl – sind branchenübergreifend anzuwenden. Zehn dieser Standards sind ferner den drei themenspezifischen ESG-Dimensionen – also Umwelt (E), Soziales (S) und gute Unternehmensführung / Governance (G) – zugeordnet.

Welche Rolle spielt das Abfallmanagement im Rahmen der CSRD in den Kliniken?

Marcus Sidki: Von besonderer Bedeutung für das Abfallmanagement ist der künftige Standard ESRS E5 „resource use & circular economy“. In diesem wird unter anderem die Wichtigkeit der Kreislaufwirtschaft für die nachhaltige Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft betont. Unternehmen müssen neben den verbrauchten Ressourcen und produziertenAbfallmengen auch darüber berichten, wie eine Anpassung des Geschäftsmodells im Einklang mit den Grundsätzen der Kreislaufwirtschaft inklusive der Abfallminimierung erfolgen soll.

Management als Schlüsselfigur für ein nachhaltiges Gesundheitswesen

Welche Aufgabe fällt dem Gesundheits­management in der nachhaltigen Ausrichtung medizinischer Einrichtungen sowie bei der Umsetzung der Nachhaltigkeits­berichterstattung zu?

Marcus Sidki: Zunächst einmal ist es wichtig festzuhalten, dass das aktive Engagement durch das Management notwendige Bedingung ist, um Nachhaltigkeit überhaupt ambitioniert und ganzheitlich innerhalb einer Einrichtung zu verankern. In anderen Worten: Nachhaltigkeit ist Chefsache. So sieht es im Übrigen auch die neue CSR-Richtlinie im Hinblick auf die verpflichtende Nachhaltigkeits­berichterstattung. Das Management hat dabei die Aufgabe, die für das Unternehmen wesentlichen Nachhaltigkeits­themen festzulegen. Dies geschieht in der Regel durch die Durchführung einer sogenannten Wesentlichkeitsanalyse, welche neben der Managementsicht auch die Sicht der Stakeholder berücksichtigt. Die als wesentlich identifizierten Themen bilden dann den Ausgangspunkt für die Entwicklung einer Nachhaltigkeitsstrategie, bei der konkrete Ziele gesetzt, operationalisiert und anhand von Kennzahlen gemessen werden. All das ist originäre Managementaufgabe.

Nachhaltige Optimierungen im Gesundheits­management

Auch wenn viele Kliniken schon lange vor der verpflichtenden CSRD eine Reihe von Nachhaltigkeits­strategien in den Klinikalltag integriert haben, gibt es immer noch zahlreiche Herausforderungen. Was sind die großen Baustellen, an denen noch dringend gearbeitet werden müsste?

Marcus Sidki: Nachhaltigkeit kann für Kliniken gleichsam Herausforderung als auch Chance sein. Daher greift es etwas zu kurz, sich nur auf die anstehenden Baustellen zu fokussieren. Unser Institut entwickelt gegenwärtig gemeinsam mit dem Deutschen Verein für Krankenhaus­controlling e.V. (DVKC) und der Bank für Kirche und Diakonie eG – KD-Bank einen Branchenleitfaden für Gesundheits­einrichtungen zur Erstellung von Nachhaltigkeits­berichten. Die Standards desDeutschen Nachhaltigkeits­kodex (DNK) finden dabei Berücksichtigung. Der Leitfaden wird voraussichtlich im dritten Quartal dieses Jahres fertiggestellt und dann über die Website des DNK kostenlos zur Verfügung gestellt. Darin definieren wir fünf Themenfelder, in denen Gesundheits­einrichtungen dauerhaft zur eigenen nachhaltigen Entwicklung beitragen können. Ein großer Punkt ist die Patientenversorgung, welche sich nachhaltig transformieren und zusätzlich auf die Herausforderungen klimabedingter Krankheitsbilder vorbereiten muss. Weiterhin ist der Ressourcenverbrauch – und damit zusammenhängend die verantworteten Treibhausgasemissionen – zwingend in den Blick zu nehmen, denn Krankenhäuser sind Hochenergiebetriebe, verbrauchen viele Rohstoffe und verursachen gefährliche Abfälle. Drittens können Krankenhäuser bei entsprechender Ausrichtung einen wertvollen Beitrag zur regionalen Entwicklung leisten, da sie sich aufgrund der vierten Herausforderung – dem zunehmenden Fachkräftemangel in Krankenhäusern – für ein vielfältiges Personalmanagement mit einer chancengleichen Führungskultur und neuen Karrierewegen einsetzen können, was sie als Arbeitgeber attraktiver gestaltet. Und letztlich können sich Kliniken als Bildungseinrichtungen positionieren – sei es durch Ausbildung oder die Verbreitung von Gesundheitswissen – und damit die Gesundheits­versorgung regional stärken.

Nachhaltigkeit im Krankenhaus kosteneffektiv umsetzen

Im Rahmen des diesjährigen DRG Forums haben Sie eine Session zum Thema Das nachhaltige Krankenhaus: Wie sich Klima schützen und Energie sparen lässt moderiert. Ein wichtiges Thema – aber wie ist das umsetzbar? Mit welchen Maßnahmen können Krankenhäuser möglichst kosteneffizient nachhaltig agieren?

Marcus Sidki: Dabei ist vor allem der effiziente Ressourceneinsatz zu beachten. Zu wissen, wo man als Krankenhaus die größte Wirkung im Sinne der nachhaltigen Entwicklung entfalten kann, ist eine notwendige Voraussetzung. Hierfür bedarf es immer einer vorgelagerten Wesentlichkeitsanalyse sowie der Entwicklung einer Nachhaltigkeits­strategie, denn dieUmsetzung von Maßnahmen sollte immer einem strategischen Plan folgen. Wir stellen allzu oft fest, dass aus einem gut gemeinten Aktionismus heraus Maßnahmen definiert und umgesetzt werden, über deren Wirksamkeit und damit Sinnhaftigkeit man sich aber keinerlei Gedanken gemacht hat. Dies ist weder ressourcen- noch kosteneffizient.

Bei den aus einem strategischen Plan hergeleiteten Maßnahmen sollte man in erster Priorität die „low hanging fruits“ angehen. Damit sind die offensichtlichen oder einfachen Maßnahmen gemeint, die am leichtesten umgesetzt werden können. In Kliniken sind das oftmals Nachhaltigkeits­maßnahmen, die in vielen Fällen über einen kurzen bis mittleren Zeitraum sogar kostenschonend wirken. Im Rahmen des DRG Forums wurden hierfür einige Beispiele genannt, darunter das großflächige Austauschen von Leuchtmitteln.

In der CSR-Richtlinie wird von „nichtfinanziellen Informationen“ gesprochen. Diese Umschreibung wird von Stakeholdern häufig kritisiert, da damit außer Acht gelassen werde, dass Nachhaltigkeits­aspekte den finanziellen Erfolg des Unternehmens beeinflussen können. Was ist Ihre Meinung dazu?

Marcus Sidki: Man sollte die Wortwahl hier nicht zu genau nehmen. Nichtfinanzielle Bericht­erstattung meint in erster Linie, dass es sich dabei um eine Art der unternehmerischen Bericht­erstattung handelt, die die klassische finanzielle Bericht­erstattung im Rahmen der Bilanzierung bzw. Gewinn- und Verlustrechnung um nichtfinanzielle Kennzahlen der Nachhaltigkeits­performance ergänzen soll. Es gab und gibt auch immer wieder Versuche, die Nachhaltigkeits­kennzahlen in die klassische finanzielle Unternehmens­berichterstattung zu integrieren. Eine innovative Konzeption, die das Potenzial besitzt, auf breiter nationaler bzw. internationaler Ebene akzeptiert und angewandt zu werden, ist dabei allerdings noch nicht zu verzeichnen. Die bestehenden Ansätze sind allesamt unvollkommen, lassen zu viel willkürlichen Spielraum und begünstigen die Schönrechnerei. Insofern ist der Weg der CSRD, die finanzielle Bericht­erstattung um eine verpflichtende Nachhaltigkeits­berichterstattung zu ergänzen, ein guter Kompromiss.

Erfolgreiches Nachhaltigkeits­management braucht personelle Ressourcen

Im Rahmen eines der Online-Seminare zur neuen CSR-Richtlinie, die Sie zusammen mit Björn Maier von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg geben, haben Sie davon gesprochen, dass eine Person nicht ausreicht, um Einrichtungen nachhaltig auszurichten, sondern vielmehr eine ganze Abteilung dafür notwendig sei. Wie ist das umsetzbar? Wie bzw. mit welchen Funktionen und Positionen stellen Sie sich eine solche Abteilung vor?

Marcus Sidki: Es muss nicht sofort eine ganze Abteilung gebildet werden, die sich ausschließlich mit dem Nachhaltigkeits­management befasst – das ist gerade in Krankenhäusern mit ihrer speziellen Erlöser­wirtschaftungs­systematik nicht leistbar. Trotzdem darf bei Klinikkonzernen mit teilweise tausenden Beschäftigten nicht davon ausgegangen werden, dass die Besetzung einer Teilzeitstelle für die Etablierung nachhaltiger Strukturen und die Verpflichtung zur CSRD ausreicht. Dies kann und wird nicht zu den gewünschten Ergebnissen führen, denn Nachhaltigkeits­management ist eine Schnittstellen­aufgabe. Neben der Koordination, die gerne von einer Vollzeitkraft ausgeübt werden darf, müssen anteilige Personal­ressourcen in vielen Unternehmens­bereichen geschaffen werden. Nachhaltigkeit wirkt z. B. in die Bereiche Versorgung, Abfallmanagement, Personal, Facility-Management und Unternehmens­entwicklung, und deshalb müssen Beschäftigte dieser unterschiedlichen Bereiche regelmäßig zusammenkommen, sich untereinander abstimmen und eben auch in ihren Bereichen das Thema Nachhaltigkeit vertreten und umsetzen. Und das alles unter Einbindung der Geschäftsleitung, denn Nachhaltigkeit ist – wie bereits erwähnt – Chefsache.

Die Zukunft der Nachhaltigkeits­berichterstattung im Gesundheitswesen

Bis zum ersten verpflichtenden Nachhaltigkeits­bericht bleibt es weiterhin spannend. Was denken Sie – wie reibungslos wird das erste Intervall ablaufen? Sehen Sie jetzt vielleicht auch schon Probleme, die sich ergeben könnten?

Marcus Sidki: Die größte Herausforderung besteht meines Erachtens darin, seitens des Managements die künftige Nachhaltigkeits­berichtspflicht bereits heute als gleichsam wichtiges wie dringendes Thema zu erkennen und erste Schritte einzuleiten. Wir empfehlen, bereits in diesem Jahr mit dem Aufbau passender Organisations- und Governance-Strukturen zu starten, um Nachhaltigkeit im Krankenhaus thematisch fest zu verankern. Bereits im Jahr 2024 sollte eine erste Bestimmung des Status Quo erfolgen, insbesondere im Hinblick auf komplett neu zu erhebende Kennzahlen, wie den eigenen THG-Fußabdruck. Mit diesen Vorbereitungen kann dann für das Jahr 2025 die erste Bericht­erstattung aufgesetzt werden, ohne dass es zu Verwerfungen kommen dürfte. Wird das Thema allerdings zu lange liegengelassen, droht die Gefahr, dass der Berichts­pflicht nicht rechtzeitig und vollumfänglich nachgekommen werden kann, was zu Problemen bei der Prüfung des Jahresabschlusses führen wird. Ein vorausschauendes Management sollte solchen Gefahren vorbeugen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Prof. Dr. Marcus Sidki hält am 27. September 2023 im Rahmen des diesjährigen Expertentreffs in Köln einen Vortrag zur Nachhaltigkeits­berichterstattung. Melden Sie sich noch bis zum 6. September direkt online oder per Mail – redaktion@abfallmanager-medizin.de – an und hören Sie weitere spannende Impulse rund um das Spannungsfeld Abfallmanagement in der Medizin.

Alle Angaben ohne Gewähr und Anspruch auf Vollständigkeit.