Kreislaufwirtschaft für Medizinprodukte – mit diesem Ziel im Blick entwickelt die Vanguard AG seit über 25 Jahren Medical Remanufacturing-Verfahren. So werden Lebenszyklen von Medizinprodukten verlängert und medizinische Einrichtungen dabei unterstützt, nachhaltiger und zukunftsorientierter zu wirtschaften. Wie Remanufacturing im Klinikalltag funktioniert, die Wiederverwendung von Medizinprodukten rechtlich geregelt ist und wie sicher die Aufbereitung von Einmalprodukten ist, erzählt Ulrike Marczak – Vorstandsvorsitzende der Vanguard AG – im Interview mit dem Abfallmanager Medizin.
Zur Person: Ulrike Marczak
- Seit 2022 Vorstandsvorsitzende der Vanguard AG
- 2013 bis 2021 Geschäftsführerin Angiokard Medizintechnik GmbH
- 2009 bis 2013 Vanguard AG – u. a. als Leiterin Operations, Geschäftsbereichsleitung Systemlösung für Medizinprodukte und Standortleitung Werk Berlin
- 2000 bis 2009 Operatives Geschäft bei Biomet GmbH
- Abschluss als Diplom-Wirtschaftsingenieur an der Hochschule Stralsund
Frau Marczak, was gab den Impuls, sich als Unternehmen so konsequent dem Thema Kreislaufwirtschaft im Gesundheitswesen zu widmen? Können Sie uns das Medical Remanufacturing-Konzept von Vanguard näher erläutern?
Ulrike Marczak: Das Gesundheitswesen ist ein systemrelevanter Sektor, hat gleichzeitig aber auch einen großen Einfluss auf die Umweltbelastung. Wäre die Branche ein Land, stünde sie auf Rang fünf der größten Emittenten von CO₂ weltweit – nach China, den USA, Indien und Russland. Und auch wenn die Gesundheitsversorgung in der breiten Öffentlichkeit nicht im Fokus der klimazentrierten Kritik steht, sollten wir uns – als Vertretende dieser Branche – unserer Verantwortung bewusst sein. Über 70 Prozent der Emissionen dieses Sektors gehen auf Herstellung und Lieferketten von Medizinprodukten zurück. Es ist also nur sinnvoll, vorhandene Ressourcen mithilfe von Kreislaufwirtschaft so lange wie möglich zu nutzen. Das setzt die Vanguard AG seit über 25 Jahren für Medizinprodukte um – mit einem Verfahren, das sich Medical Remanufacturing nennt.
Nachhaltigkeitspotenziale direkter Wiederverwendung
Inwiefern unterscheidet sich Remanufacturing von klassischen Recycling- oder Entsorgungsstrategien und wo sehen Sie die größten Einsparpotenziale?
Ulrike Marczak: Es ist sehr simpel: Remanufacturing steht für direkte Wiederverwendung. Beim Recycling von Medizinprodukten werden diese in ihre einzelnen Bestandteile zerlegt und anschließend energetisch bzw. stofflich verwertet. Mit unserem Medical Remanufacturing-Ansatz bereiten wir das Produkt auf und erhalten so die ursprüngliche Funktion. Je nach Artikel unterscheidet sich die Anzahl der Aufbereitungsschritte, wozu beispielsweise die Demontage, Reinigung, Desinfektion, Sterilisation und Remontage gehört. Erst wenn ein Artikel den vollen Nutzen ausgeschöpft hat und nicht mehr aufbereitet werden kann, ist in unserem Ansatz das End-of-Life-Recycling vorgesehen, um auch hier den größten Nutzen aus den Sekundärrohstoffen zu ziehen.
Studien belegen, dass bis zu 71 Prozent der Emissionen im Gesundheitswesen durch die Lieferketten und Produktbereitstellung entstehen. Wie trägt Remanufacturing dazu bei, diesen Bereich konkret zu entlasten?
Ulrike Marczak: Ein großer Anteil der Treibhausgase bei der Produktion neuer Materialien, Instrumente o. ä. entstehen in der Lieferkette: vom Rohstoffabbau bis hin zu Verpackung und Logistik. Besonders stark ins Gewicht fallen hier Einmalprodukte mit ihren weltweit geschöpften Ressourcen und globalen Lieferketten. Wird ein Medizinprodukt stattdessen aufbereitet, reduziert das die Treibhausgas-Bilanz deutlich. Zwar verbraucht das Remanufacturing auch Ressourcen wie Wasser, Energie sowie Desinfektions- und Reinigungsmittel, jedoch werden keine neuen Primärrohstoffe benötigt und globale Lieferketten reduzieren sich weitestgehend auf Europa. Diese Vorteile der Wiederverwendung belegt auch eine Studie des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT aus dem Jahr 2021: Die Aufbereitung von Elektrophysiologie-Kathetern verbraucht im Vergleich zur Neuproduktion bis zu 28 Prozent weniger Ressourcen. Bei den Emissionen ist das Einsparpotenzial sogar noch größer, hier ist der CO₂-Fußabdruck nicht einmal halb so groß.
Einmal-Medizinprodukte gelten per Definition als nicht wiederverwendbar. Warum ist es aus Ihrer Sicht dennoch notwendig, ihren Produktlebenszyklus zu verlängern?
Ulrike Marczak: Der Begriff „Einmalprodukt“ bezieht sich auf den ursprünglich vom Hersteller vorgesehenen Verwendungszweck und nicht auf die technischen Möglichkeiten der Aufbereitung. Hochkomplexer Medizintechnik, wie Elektrophysiologie-Kathetern, Ultraschallscheren und anderem OP-Instrumenten, kann oftmals ein weiteres Leben eingehaucht werden. Heutzutage wird es aus einer Vielzahl an wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Gründen notwendig, den Produktlebenszyklus so lange wie möglich zu gestalten. Manche Medizinprodukte liegen preislich pro Stück im oberen drei- bis vierstelligen Bereich und verursachen in ihrer Produktion einiges an CO₂-Äquivalenten. Als Branche tragen wir nicht nur eine Verantwortung für die Patientinnen und Patienten, sondern auch für die Auswirkungen unserer Arbeit darüber hinaus. Aufbereitungsunternehmen obliegen laut MDR Artikel 17 die gleichen Pflichten wie Originalherstellern; sie haben die gleichen Rechte und gelten bei einer CE-Aufbereitung sogar als solche. Wenn aufbereitete Produkte die gleiche Funktionalität und Sicherheit aufweisen wie Neuprodukte – was sollte bei all den weiteren Vorteilen dagegensprechen?
Remanufacturing in der Praxis
Frau Marczak, welche konkreten Herausforderungen begegnen Ihnen und Ihrem Team bei der Umsetzung von Remanufacturing in Kliniken – sei es technologisch oder organisatorisch?
Ulrike Marczak: Herausforderungen begegnen uns auf verschiedenen Ebenen: 2021 ist die EU-weite Medizinprodukteverordnung (MDR) in Kraft getreten. Zum ersten Mal wird die Aufbereitung von Einmal-Medizinprodukten europaweit einheitlich geregelt und immer mehr Länder entscheiden sich für die Wiederverwendung. Obwohl diese Aufbereitungspraxis in Deutschland seit Jahrzehnten Gang und gäbe ist, gibt es kritische Stimmen. Auch, weil die Branche leider oft im wirtschaftlichen Konkurrenzdenken versinkt. Unserer Meinung nach braucht es die Zusammenarbeit von Herstellern, Remanufacturern, Recyclern und Entscheidern, um den Herausforderungen unserer Zeit – wie der Klimakrise und der Sicherung der Versorgungssicherheit – zu begegnen. Ich bin mir sicher, wenn wir zusammenarbeiten, erreichen wir diese Ziele deutlich schneller.
Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit den medizinischen Einrichtungen? Können Sie eine Bilanz ziehen?
Ulrike Marczak: Wir arbeiten mit vielen Einrichtungen in ganz Europa zusammen – von kleinen Krankenhäusern bis zu Universitätskliniken. Die Marien Gesellschaft Siegen setzt beispielsweise bereits seit über 10 Jahren auf Medical Remanufacturing und bezieht etwa ein Drittel ihrer Medizinprodukte aus aufbereiteter Ware. Damit konnten sie in den Jahren von 2021 bis 2024 über 1,8 Tonnen CO₂-Äquivalente einsparen. Auch das Klinikum Nürnberg nutzt seit 20 Jahren aufbereitete Produkte und greift aktuell zwei- bis dreimal so oft zu ihnen wie zu Neuprodukten. Allein dadurch konnten sie letztes Jahr fast 400 Kilogramm Abfall und über 370 Kilogramm CO₂ einsparen. Hochgerechnet auf all unsere Kunden addieren sich so beachtliche Summen an eingesparten Ressourcen. Das zeigt, wie viel Potenzial für Klimaschutz und Kostenersparnis sich hinter dieser Technologie verbirgt.
Sicherheit aufbereiteter Produkte
Thema medizinische Sicherheit: Wie stellt Vanguard sicher, dass aufbereitete Produkte dieselben Standards erfüllen wie Neuprodukte?
Ulrike Marczak: Als Medizinproduktehersteller mit drei Produktionsstandorten in Deutschland müssen wir nicht nur die Sicherheit und Leistungsfähigkeit unserer Produkte sicherstellen, sondern zusätzlich umfangreiche regulatorische Anforderungen erfüllen. Für das Medical Remanufacturing gelten dabei die gleichen strengen Anforderungen wie für alle anderen Medizinproduktehersteller auch. Wir entwickeln eigene patentierte Reinigungs- und Desinfektionsverfahren. Jedes einzelne Produkt wird mit optischen, taktilen und biochemischen Verfahren auf seine Funktionalität und Sicherheit überprüft. Wir bewerten alle Produkte, Stichproben genügen uns hier nicht. Die dafür eingesetzten Reinigungsmaschinen, Arbeits- und Prüfplätze werden durch unsere Forschungs- und Entwicklungsabteilung entwickelt, in enger Zusammenarbeit mit externen wissenschaftlichen Partnern. In Abhängigkeit der Komplexität des Medizinproduktes, kann es bis zu 5 Jahre dauern, bis das Verfahren der CE-Zertifizierung abgeschlossen ist.
Zukunft des Remanufacturings
Frau Marczak, wie schätzen Sie die Entwicklung in fünf Jahren ein?
Ulrike Marczak: Viele Kliniken in Deutschland nutzen bereits Medical Remanufacturing-Verfahren. Wir gehen davon aus und sehen schon jetzt, dass auch in anderen europäischen Ländern das Interesse wachsen wird. Das bedeutet, dass Hersteller Produkte so optimieren müssen, dass ihre Aufbereitung problemlos möglich ist und im Sinne der Kreislaufwirtschaft eine sinnvolle Strategie für das Gesundheitswesen darstellt. Es wird zum Konsens werden, dass Wiederverwendung der erste und Recycling der zweite Weg ist. Wenn Kliniken, Industrie und Entscheider unter dieser Prämisse zusammenarbeiten, kann die gesamte Branche eine Vorreiterrolle einnehmen, wenn es um zukunftsförderliche Zusammenarbeit und sinnvolles Wirtschaften geht.
Vielen Dank für das Gespräch!




